Wendepunkt

Gefragte Fachkraft: Hannah Lehnert ist angehende Hotelkauffrau im Hotel Hilton in Berlin. FOTO DPA/LAURA LUDWIG

Pandemiefolgen, Fachkräftemangel, steigende Lebensmittelpreise: Die Liste an Herausforderungen, vor denen das Hotelund Gastgewerbe steht, ist lang. Kann sich eine Ausbildung dennoch lohnen?

27.08.2022

Schon vor der Pandemie waren die Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe schwierig. Nun verschärft der Personalmangel die Probleme. Die Branche versucht einen Neuanfang für die Ausbildung. Was müssen angehende Azubis jetzt beachten?

„Der Ausbildungsmarkt war schon vor der Pandemie wirklich, wirklich schwierig", sagt Christoph Schink, der in der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) das Referat Gastgewerbe leitet. Seit 2011 habe sich die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Gastgewerbe halbiert. Und die, die schon da waren, sind zum Teil auch gegangen."

Gastgewerbe braucht qualifizierte Fachkräfte

Nichtsdestotrotz bleibt die Zuversicht: Die Angst, dass gar nicht mehr ausgebildet wird, habe sich nicht bestätigt. Vielmehr habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es im Gastgewerbe qualifizierte Fachkräfte braucht.

Das zeigt auch das Beispiel von Hannah Lehnert. Die 20-Jährige hat im vergangenen Jahr eine Ausbildung zur Hotelkauffrau im Hilton Hotel Berlin begonnen. Ihren Berufswunsch hat sie sich durch die Auswirkungen der Pandemie auf die Branche nicht vermiesen lassen. „Für mich war schon lange klar, dass ich diesen beruflichen Weg einschlagen möchte."

Daran konnten dann auch erste Zweifel ihrer Familie nichts ändern. Vielmehr war Lehnert froh, dass sie die Möglichkeit hatte, ihre Ausbildung zu starten.

Azubis können sich Arbeitgeber aussuchen

Womöglich steht die Branche in Sachen Ausbildung nun auch an einem Wendepunkt. Zumindest für potenzielle Nachwuchskräfte lassen sich positive Entwicklungen erkennen. ,,Unternehmen müssen sich mittlerweile sehr strecken, wenn sie Azubis bekommen wollen", sagt Schink.

Die Gewinnung von Fachkräften sei für die Betriebe deutschlandweit eine Herausforderung, so Sandra Warden, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Gesucht würden Mitarbeitende sowohl in Metropolen als auch auf dem Land, in Städten ebenso wie in den Urlaubsregionen.

Und diese „Enge des Arbeitsmarkts", wie Schink es nennt, kann attraktiv sein. Für Auszubildende heißt das nicht nur, dass sie sich den Arbeitgeber in der Regel aussuchen können. Auch nach der Ausbildung steht ihnen die volle Bandbreite an Jobmöglichkeiten offen.

Welche Art von Ausbildung möchte ich machen?

Dehoga-Geschäftsführerin Sandra Warden rät angehenden Azubis, sich zu überlegen, was für sie bei der Wahl des Ausbildungsbetriebs persönlich besonders wichtig ist: Ist es die Möglichkeit einer internationalen Karriere? Oder passt ein Familienbetrieb in der Heimatregion, wo ich verwurzelt bin, besser zu mir?

Auch die Abwägung zwischen einem Schwerpunkt auf den soliden handwerklichen Grundlagen oder auf innovativen, durchdigitalisierten Betrieben kann bei der Entscheidung weiterhelfen.

Neue Ausbildungsordnungen bringen Aufmerksamkeit

Ein Thema, das im Gastgewerbe immer wieder eine Rolle spielt, sind die Arbeitszeiten. Hier habe die Pandemie auch etwas Positives bewirken und zu einer Flexibilisierung beitragen können, sagt etwa Gisela Münchgesang, General Mangerin des Hilton-Hotels am Gendarmenmarkt in Berlin.

„Wir merken, dass wir uns da als Arbeitgeber an die Bedürfnisse einer neuen Generation anpassen müssen." Deswegen ließen sich auf Wunsch etwa Teilzeit-Stellen realisieren - und auch mobiles Arbeiten, etwa wenn es um administrative Tätigkeiten geht, sei möglich.

Ein Aspekt, der den Neustart der Ausbildung im Hotel- und Gastgewerbe weiter ankurbeln soll, ist die Neuordnung der Ausbildungsberufe. Zum 1. August 2022 gelten für die Berufe in Gastronomie, Hotellerie und Küche aufgefrischte Ausbildungsordnungen. Das soll die Ausbildungsqualität verbessern.

Branche mit schlechtem Image - zurecht?

Das scheint dringend nötig. Aus Sicht von Gisela Münchgesang etwa trägt auch das Bild, das die Öffentlichkeit zu Berufen im Hotel- und Gastgewerbe hat, zu den Rekrutierungsproblemen der Branche bei. Hier sieht sie Nachholbedarf, das geradezurücken.

Auch Azubine Hannah Lehnert hat vor ihrer Ausbildung zur Hotelkauffrau im Internet recherchiert - und viel davon gelesen, dass Azubis den ganzen Tag nur Zimmer sauber machen. Abgeschreckt hat sie das nicht. Und ihr Ausbildungsalltag sieht nun ganz anders aus.

Die angehende Hotelkauffrau mag besonders, dass sie bereits viel Eigenverantwortung hat und zahlreiche Abteilungen des Hotels kennenlernen kann: von der Buchhaltung über den Roomservice bis hin zur Warenannahme. Langweilig wird es da nicht. „Ein Tag in unter der Buchhaltung scheidet sich dann natürlich sehr von einem Tag an der Bar das zeigt die Komplexität der Ausbildung", sagt sie.

Affinität für Dienstleistungen gehört dazu

Sie ist für ihre Ausbildung sogar extra von Hamburg nach Berlin gezogen. Die Arbeitszeiten machen ihr nichts aus. „Das erste Weihnachten ohne meine Familie zu verbringen, war aber schon ein komisches Gefühl." Da habe es geholfen, dass das Hotel besonders festlich geschmückt war und sie sich während der Festtage bei ihrer neuen „Arbeitsfamilie" wohlfühlen konnte.

Hannah Lehnert zufolge sollte, wer sich für die Ausbildung im Hotel interessiert, unter anderem Flexibilität, Wissbegierde und Teamfähigkeit mitbringen. Und für sie ist klar: „Eine gewisse Affinität für Dienstleistungen gehört natürlich dazu. Es geht darum, dass der Gast eine schöne Zeit hat."

Probearbeiten gibt Aufschluss

Wer sich für eine Ausbildung interessiert, ist idealerweise schon im Bewerbungsprozess aufmerksam. Schink rät, bereits in der Stellenausschreibung auf eine Bezahlung nach Tarif zu achten. Hilfreich sei auch, wenn es einen Betriebsrat sowie eine Jugend- und Auszubildendenvertretung gibt.

Beim Probearbeiten können Interessierte einen guten Einblick bekommen, was in einem Betrieb zu erwarten ist. Schink empfiehlt, darauf zu schauen, wie die Menschen miteinander umgehen, ob es genug Personal gibt und wie hoch das Stresslevel ist.

Und wenn sich Azubis doch falsch entschieden haben sollten? Dann ist laut Schink die Berufsschulklasse die beste Stellenbörse. Hier bekommen Azubis von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern die ungeschminkte Wahrheit über deren Ausbildungsbetriebe. dpa