Unendliche Weiten – das Mikrobiom, die Billionen von Kleinstlebewesen, die den menschlichen Körper kolonisieren, werden mit vielen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Die meisten dieser winzigen Bewohner, ganz überwiegend Bakterien, leben in unserem Verdauungstrakt. Und diese Darmbakterien können viel mehr als wir früher dachten: Sie sorgen etwa dafür, dass Nährstoffe richtig verwertet werden, verhindern, dass sich Krankheitserreger ansiedeln, tragen zum Funktionieren unseres Immunsystems bei und können sogar das psychische Wohlbefinden beeinflussen.
Die Zusammensetzung des Mikrobioms ist bei jedem Menschen anders und ändert sich im Laufe des Lebens ständig. Medikamentöse Behandlungen mit Antibiotika, falsche Ernährung oder Stress können unser Mikrobiom gehörig aus dem Gleichgewicht bringen. Veränderungen des Mikrobioms werden heute dementsprechend mit einer Vielzahl von Störungen wie Darmentzündungen, Krebserkrankungen, Adipositas, Diabetes und sogar Alzheimer und psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht.
Forschung an Bakterien
Deswegen widmen sich die Chef-Gastroenterologen und Infektiologen des Klinikums Vest, PD Dr. Markus Reiser am Standort Paracelsus-Klinik Marl sowie Dr. Matthias Ross im Knappschaftskrankenhaus Recklinghausen, mit Volldampf der Erforschung der kleinen Bakterien. Viele Ärzte wie sie legen heute große Hoffnung in die Einbeziehung des Mikrobioms in die Behandlung verschiedener Erkrankungen. Unter anderem rücken dadurch Stuhluntersuchungen und -transplantationen stärker in den Fokus. Zum Hintergrund sagt etwa Dr. Matthias Ross: „Unsere Mikroorganismen leisten in der Regel in friedlichem Zusammenleben, also in der sogenannten Symbiose, wertvolle Dienste.“ Sie verdrängten somit schädliche Erreger, programmierten unser Immunsystem und könnten bei der Aufspaltung von Nährstoffen sowie der Produktion von Vitaminen helfen. Die Krux: „Es gibt auch krankmachende Bakterien, die in unserem Mikrobiom nichts zu suchen haben, zum Beispiel Durchfallerreger wie Salmonellen oder Clostridien.“ Auch die Bakterien unseres Mikrobioms könnten schädlich sein, wenn sie an den falschen Ort gelangten, etwa bei einer Wundinfektion. Infektionen mit dem Bakterium Clostridium difficile nehmen zwar zu.
Doch eine Behandlung mit menschlichem Stuhl kann dem Darm helfen: Als Stuhltransplantation etwa bezeichnen Mediziner die Übertragung von Stuhl eines gesunden Spenders in den Darm eines darmkranken Patienten. Es handelt sich dabei genau genommen um eine einfache Form der Organverpflanzung, bei der sowohl eine immunologische Übereinstimmung von Spender und Empfänger als auch eine Immunsuppression nach dem Eingriff nicht erforderlich sind. Weil „Stuhltransplantation“ für manchen aber ekelig klingt, sprechen einige Experten lieber von einem Mikrobiota-Transfer. Was verabreicht wird, sind schließlich nicht die Fäkalien, sondern die lebenden, guten Darmorganismen. Die Spender werden dazu vorab ausführlich untersucht, der Stuhl wird gefiltert und von Verdauungsresten befreit.
Dr. Ross zum Vorgehen: „Bei einer Stuhltransplantation wird speziell aufbereiteter Stuhl eines gesunden Spenders endoskopisch in den Dickdarm eines Patienten eingebracht. Die dafür bisher einzige klare Indikation ist eine schwere Darminfektion mit Clostridium difficile, die auf eine herkömmliche Therapie nicht angesprochen hat. Die Transplantation ist in diesen Fällen hoch wirksam.“ Weil dabei aber ein Arzneimittel hergestellt werde und viele Voruntersuchungen notwendig seien, erfordere die Stuhltransplantation stets die Expertise eines erfahrenen Gastroenterologen und Infektiologen.