Haben Sie sich schon mal darüber gewundert, warum in einigen Weinbergen nach der Lese noch Trauben hängen, die von Tag zu Tag rosinenartiger werden? Das ist gewollt. Diese Trauben wurden nicht vergessen: Sie sind die Hoffnung des Winzers. Er hat mit den eingetrockneten Trauben noch Großes vor.
„Wenn alles passt, kommen dabei edelsüße Raritäten heraus“, sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI) im Interview. Gerade der diesjährige goldene Oktober biete die Chance auf einen großartigen Süßweinjahrgang 2021.
Hören Liebhaber von trockenen Weinen das Wort süß, sagen sie meist: „Lass‘ mal, ich bin kein Süßer.“ Warum sollten sie sich da ausgerechnet auf Edelsüße einlassen?
Mit Edelsüßen begeistert man auch Freunde von trockenen Weinen. Sehr häufig schmecken sie sogar auch Nicht-Weintrinkern. Sie sind zwar extrem süß, aber nicht pappig süß wie mancher Likör. Man trinkt sie nicht in großen Mengen, sondern höchstens 0,1 bis 0,2 Liter pro Person – etwa statt einem Sherry als Aperitif oder als Krönung nach einem leckeren Abendessen. Die Herstellung ist für den Winzer allerdings mit sehr viel Aufwand und Risiko verbunden.
Warum ist für den Winzer die Herstellung einer Auslese, Beeren- oder Trockenbeerenauslese wie ein Lotteriespiel?
Während für Eisweine noch grüne Beeren bei minus 7 Grad kaltem Frost geerntet werden, braucht es für die Beerenauslesen einen speziellen Edelschimmelpilz, der idealerweise bei warmem Herbstwetter mit Frühnebeln und nicht in jedem Jahr wächst.
Der Pilz macht die Beerenhaut porös und lässt sie rosinenartig einschrumpfen. Das Wasser verdunstet, der Zucker und die Fruchtsäure der Traube werden konzentriert und entwickeln einen Geschmack von Honig, Karamell und Rosinen.
Dann gilt es, genau diese eingetrockneten Beeren herauszulesen – daher auch der Name „Auslese“. Werden diese handverlesenen Trauben gepresst, kommt kaum noch Wasser heraus. Es ist eine Kunst, sie zu vergären. Weil die Hefen sich in diesem konzentrierten Most schwertun, den natürlichen Zucker zu verarbeiten, müssen diese Weine nur mindestens 5,5 Volumenprozent Alkohol haben. Während normale Weine sieben Volumenprozent als Minimum aufweisen müssen.
Je nachdem wie süß die Trauben geerntet wurden, werden sie in Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese eingestuft. Sie werden meist nur in kleinen Flaschen von 0,375 oder 0,5 Litern angeboten, weil die Winzer davon oft nur ein Zwanzigstel eines normalen Ertrages ernten.
Kein Wunder: Man muss sich nur vorstellen, was herauskommt, wenn man versucht, eine einzelne Rosine auszupressen.
Trockenbeerenauslesen sind sehr selten und deshalb auch teuer. Die teuerste wurde in diesem Jahr für 12.000 Euro pro Flasche versteigert.
Das klingt alles nach großer Kunst und exklusiven Raritäten. Aber wie schafft man es, dass ein süßes Gläschen Skeptiker vom Hocker haut?
Edelsüße brauchen den richtigen Begleiter. Für das glanzvolle Finale eines tollen festlichen Menüs, etwa zu Weihnachten, zaubert man eine Trockenbeerenauslese aus dem Hut und serviert sie etwa mit Blauschimmelkäse. Das Spiel zwischen Salzigkeit und Süße führt zu einer Geschmacksexplosion am Gaumen.
Ansonsten gilt es, bei Edelsüßen auf das gleiche Niveau zu achten. Nach dem Motto: Gleiche Weinsüße zu gleicher Speisensüße. Zu vielen Desserts oder Stollen, in denen ja auch Rosinen stecken, eignet sich eine Beerenauslese vorzüglich.
Man muss nur aufpassen, dass die Süße des Desserts nicht die Süße des Weines überlagert. Das passiert bei Eis recht schnell. Sehr schön harmonisch und karamellig wird es mit einer Beerenauslese zur Crème Brûlée. Zu Obstsalaten passen auch etwas weniger süße Auslesen.
Mein Tipp ist, edelsüße Kostbarkeiten zu Weihnachten, aber auch zu Hochzeiten oder der Geburt von Enkeln zu schenken. Sie kann man getrost 25, 30 Jahre liegen lassen. Durch den hohen Zuckergehalt sind sie so lange haltbar. Dann öffnet man sie zur Silbernen Hochzeit oder zum 30. Geburtstag und kann sagen: „Hey, wir sind ein Jahrgang.“ dpa