„Es geht als Erstes darum, diese Realität zu begreifen, um ein Wahrhaben-Müssen“, sagt Trauerbegleiterin Marei Rascher-Held.
In der Trauerpsychologie spricht man heute nicht mehr von „Trauerphasen“, sondern von „Traueraufgaben“, die sich den Betroffenen stellen. „Der Trauerprozess verläuft keinesfalls linear, sondern spiralförmig, weil es immer wieder schleifenförmige Bewegungen gibt, die zurück in den Schmerz gehen“, sagt Trauertherapeut Roland Kachler. Die erste Aufgabe für alle Trauernden ist jedoch immer die gleiche: „Es geht schlichtweg darum, das Überleben und Weiterleben zu gestalten.“
Doch dazu muss man erst einmal die Wirklichkeit begreifen, im wahrsten Sinne des Wortes, meint Rascher-Held: „Es ist unheimlich wichtig, sich am Sarg zu verabschieden. Weil der Tod dann wirklich endgültig wird, selbst wenn er erwartbar war.“ Deshalb, sagt sie, hilft es auch, die verstorbene Person noch einmal zu sehen oder zu berühren. Auch nach einem Suizid oder einem Unfalltod rät sie dazu: „Es bleibt nicht der Anblick des Körpers. In der Erinnerung und in der Verbindung, die ich weiter in dem Verstorbenen suche, wird er wieder heile.“
1. Konkretes Handeln hilft - Rat nicht unbedingt
Außerdem braucht es Menschen im Umfeld, die meine Trauer aushalten und ihr standhalten. Und die ganz einfache Sachen tun — wie vielleicht mal für mich kochen: Zu sagen „Du kannst dich immer melden“ helfe gar nicht. „In dieser existenziellen Situation rufen Trauernde nicht an. Weil sie so viel mit sich selbst zu tun haben und anderen nicht zur Last fallen wollen.“
Nahezu kontraproduktiv sei: „Du musst loslassen lernen!“ Stattdessen plädiert der Diplom-Psychologe zum Bewahren. Motto: Die Liebe darf bleiben, die Trauer darf gehen. Vielen Trauernden hilft es, Fotos und Erinnerungen zu ordnen, einen Gedenkplatz mit einer Kerze oder Blumen einzurichten. Oder sie nehmen in Ruhe Platz an einem Beziehungsort, wo sie in ein inneres Gespräch mit dem Verstorbenen treten können.
2. Die Trauer fließen lassen
Die zweite Aufgabe besteht darin, mit dem Verlust leben zu lernen. Wenn der Platz des Mannes leer bleibt, der Schulranzen unbenutzt, wird die Realität schmerzlich spürbar. „Wichtig ist es dann, die Trauer ins Fließen zu bringen“, rät Kachler.
Schreiben kann guttun: „Etwas auszudrücken ist wichtig, damit die Trauer nach außen kommt.“
Oft befinden sich die Betroffenen in einem Gefühlsknäuel. Vor allem Trauergruppen können dann hilfreich sein. Für Männer eignen sich statt Gesprächen eher aktive Workshops, Wanderungen oder Fahrrad-Wochenenden, sagt Roland Kachler: „Männer trauern handelnd.“
3. Ort für die Liebe finden
Die dritte Aufgabe sieht der Psychotherapeut darin, die Liebe zu bewahren und „einen guten, sicheren und bewahrenden Ort“ für den Verstorbenen zu finden: Manche sehen denjenigen bei Gott oder im ewigen Licht gut aufgehoben, andere finden einen Ort in der Natur, als Stern oder Regenbogen oder in sich selbst.
4. Bewusst weiterleben
Nachdem Trauernde die ersten „Aufgaben der Trauerarbeit“ bewältigt haben, die in Bewusstwerden des Verlustes, kleinen Trauerritualen, Trauergesprächen mit anderen bestehen können, geht es für sie weiter mit der letzten großen Trauer-Aufgabe. Wenn sie einen Weg gefunden haben, ihre Liebe zu dem verstorbenen Menschen zu bewahren und gleichzeitig die Trauer immer mehr loszulassen, folgt die Aufgabe, wieder ins Leben zu finden.
„Es ist klar, die Lücke bleibt bestehen, aber in diesem weitergehenden Leben gehört der Verstorbene als innerer Begleiter, als Energie oder Ressource mit dazu“, sagt Roland Kachler. Und vor allem: „In diesem Leben darf es auch wieder Sinn und Glück geben.“
Was dabei hilft? „Ganz behutsam kleine Dinge machen, die einem guttun, und die Frage der Loyalität im inneren Gespräch mit dem Verstorbenen klären.“ Gerade bei schweren Verlusten sei dies in den ersten eineinhalb Jahren jedoch nur ansatzweise möglich.
Marei Rascher-Held rät, sich darüber bewusst zu werden, was die eigenen Ressourcen sind und was man früher gern gemacht hat. „Ganz viel hilft wirklich, in die Biografiearbeit zu gehen und sich klarzumachen: Wie war ich denn, bevor der Mensch gestorben ist? Wer war ich vorher, bevor alles für mich zusammengebrochen ist? Wo kann ich mich wiederfinden?“
Es gilt, zu überlegen, ob es etwas gibt, was ich immer schon vorhatte — und für das ich jetzt Zeit habe. „Ich erlaube mir Dinge, die mir gut tun, und ich darf das auch wieder tun“, unterstreicht sie. Das kann die Anmeldung in einem Tanzkurs genauso sein wie eine Reise oder mit Malerei zu beginnen.
Gleichzeitig sollte mir außerdem bewusst sein: „Die Lücke bleibt, das ist auch in Ordnung. Dieser Verlust ist etwas, was in mein Leben und in meine Biografie gehört.“ Nach dem Motto: „Ich habe zwar diesen wichtigen Menschen verloren, aber trotzdem lebe ich mein Leben weiter und suche einen neuen Sinn darin.“
Und Roland Kachler macht Hoffnung: „Wenn die Aufgaben erledigt sind, dann sind sie tatsächlich erledigt.“ Was nicht bedeutet, dass die Trauer dann ein für alle Mal vorbei ist. „Es wird immer Momente geben, dass es einen erwischt“, sagt er. Aber sie sind nicht mehr so intensiv. Eher zeigen sie sich an bestimmten Jahresdaten oder bei besonderen Anlässen als eine „kleine Traurigkeit“ oder Wehmut. dpa-tmn