Gegen was er war, wusste Ludger Vollmer schon früh: gegen Atomkraft, die Nato, Plastik, Pestizide und das kapitalistische System sowieso. „Doch irgendwann“, sagt der inzwischen mit der Altersweisheit von 66 Lenzen ausgestattete „Biosaurier“, „muss man im Leben auch sagen, wofür man steht.“
Genau diesen Schritt ging der gelernte Gärtner mit 26 Jahren am 17. Oktober 1981. Und zwar gemeinsam und auch mit finanzieller Starthilfe seiner damaligen Frau Karin Niewels-Vollmer auf 40 Quadratmetern in einem Ladenlokal eines inzwischen längst abgerissenen Hauses an der heutigen Oberen Münsterstraße, seinerzeit Münsterstraße 45.
Es war die Geburtsstunde eines Geschäftes namens „Löwenzahn – Naturkostund 3. Welt-Laden“. Das Sortiment war überschaubar, darunter Brot aus biologisch angebautem Getreide, gesundes Müsli, naturbelassene Säfte und zwei damals unvermeidliche Artikel: Jute- statt Plastiktaschen und Kaffee aus Nicaragua. „Um das Elend und die Ausbeutung der 3. Welt zu mindern“, wie es im ersten Flyer mit grünen Lettern auf Umweltpapier hieß.
Erfolgreiches Geschäftsmodell
40 Jahre später ist aus dem anfangs häufig belächelten, rauschebärtigen Protestler der Achtzigerjahre mit dem Image des Körnerfressers peu à peu ein etablierter Altstadt-Kaufmann geworden. Weil er seine Nische im Lebensmitteleinzelhandel beharrlich wie konsequent zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell weiterentwickelt hat, ohne dabei den Markenkern seiner Ursprungsideale auf dieser langen Wegstrecke liegen gelassen zu haben. „Wir sind immer noch klein, aber wir sind im Gegensatz zu vielen anderen Geschäften immer noch da“, so sein durchaus selbstbewusstes Jubiläums-Fazit.
Dass er den Laden seinerzeit „Löwenzahn“ genannt hat, fand Vollmer zwar angesichts zahlreicher gleichnamiger Geschäfte schon damals nicht besonders originell, dafür aber heute noch gut und passend. „Es ist eine sehr vitale Pflanze, die sich überall durchsetzt, sich sogar durch Beton frisst. Das ist doch ein sehr schönes Bild“, gerät Vollmer heute nach wie vor ins Schwärmen.
Und dass es im 21. Jahrhundert auch der „Mitte der Gesellschaft so langsam dämmert, dass es mit dem hemmungslosen Raubbau an der Natur, der Ausbeutung von Menschen und einer industriellen Form der Landwirtschaft so nicht weitergehen kann“, sieht Ludger Vollmer durchaus als einen mühsam erkämpften Erfolg seiner Linie an.
Dass die Atomkraft in Deutschland ausläuft und die Klimadebatte das politische Topthema geworden ist, bestätigt ihn in seiner Einstellung der frühen Jahre. „Den ersten Schub hat uns Tschernobyl gegeben, da gab es zum Gemüse gleich die Becquerels gratis dazu“, erinnert sich Vollmer an die Havarie des sowjetischen Kernkraftwerkes 1986 zurück. Es war das Jahr, in dem der Kaufmann sich bereits etabliert hatte und ein paar Häuser weiter unten in ein fast doppelt so großes Ladenlokal mit der neuen Adresse Obere Münsterstraße 1 direkt an den Bahnübergang umzog.
Konsequenterweise folgte 2005 der nächste Schritt ins Herz der Innenstadt, begünstigt durch die Endlos-Diskussion um die Schließung des Bahnübergangs Obere Münsterstraße, die auch heute noch nicht ausgestanden ist. Mit der Parole „Übergang statt Untergang“ stritt Vollmer damals für den Erhalt der Anbindung der nördlichen Münsterstraße an den Stadtkern bis zur Eingabe einer Petition an den Ausschuss des Bundestages, konnte aber irgend wann selbst nicht mehr an einen Erfolg glauben. Darüber hinaus bot das neue Lokal direkt am Busbahnhof die Chance zu einer Erweiterung des Sortiments mit mittlerweile über 4000 Artikeln sowie die Möglichkeit von Öko-Verkostungen in einem intimen Rahmen im Keller des rund 200 Quadratmeter großen Ladenlokals. Dort konnte er auch seither wiederholt zahlreiche Erfolge bei den Online-Abstimmungen der Kundschaft einfahren – für die Qualität seiner Ware, die gute Beratung, die Vermeidung unnötigen Verpackungsmülls und Energiesparkonzepte.
Ludger Vollmer wäre nicht Ludger Vollmer, wenn er nicht immer wieder der Kultur, dem Spaß, gerne auch garniert mit Selbstironie, stets großen Raum gelassen hätte. Schon bei seiner musikalischen Einweihungsfeier war mit Götz Alsmann ein damals unbekannter junger Mann mit von der Partie, der heute als Musiker und Entertainer auf den großen Bühnen Deutschlands und darüber hinaus unterwegs ist. Später gastierte mit Klaus Neuhaus auch ein Kinderliederschreiber mit großem Namen an der Oberen Münsterstraße. Zur Einweihung an der Lönsstraße kam das „Blasorchester Schwarz-Rot-Atemgold 09“. Und mit dem Theaterstück „Hysterion“ funktionierte Vollmer 2013 sein Ladenlokal zu einer Bühne im Realformat um.
Enge Kundenbindung und Liebe zur Stadt
Nicht zuletzt ist Vollmer die Liebe zu seiner Heimatstadt und die enge Bindung zu seinen Kunden stets ein besonderes Anliegen. Im Rahmen von „Ruhrgebiet: Kulturhauptstadt Europas 2010“ organisierte er eine Stadtrundfahrt mit „Emscher-Wein“ und „Rennbahn-Sekt“. In dem Format namens „Landpartie“ lässt der inzwischen zweifache Großvater seine Kundschaft auf verschiedenen Erzeugerhöfen an der ökologischen Korrektheit von Anbau und Tierhaltung teilhaben.
Auch die Unterstützung von Projekten in armen Ländern, die heutzutage nicht mehr „Dritte Welt“ heißen, hat sich aus den Pioniertagen erhalten. Mit dem Kauf eines so genannten „Mutterlaibes“ ist eine dringend benötigte Geburtsstation in Mali mitfinanziert worden.
Die Namensschöpfung des Brotes ist seiner Frau Ulla Vollmer, geb. Greulich, zu verdanken. Sie ist tief in praktischem und planerischem Geschehen des Bioladens eingebunden und Teil der Geschäftsführung. „Es sind die Synergieeffekte, die uns und das Unternehmen stärken“, ist sich Ludger Vollmer sicher.
Dass Vollmer auch während der Corona-Krise zu den wenigen Gewinnern der Einzelhandelsbranche geworden ist, leugnet er nicht, kennt aber auch die Gründe. „Wir haben mehr Zulauf aus ganz verschiedenen Motiven: Zum einen ist es die kleinstrukturierte, überschaubare Ladengröße, die viele Kunden schätzen, zum anderen ist die Wertschätzung der Nahrung sowie der Stellenwert des eigenen Kochens für die eigene Lebensqualität deutlich gestiegen“, so seine Argumentation.
Zum richtigen Riecher im Hinblick auf eine wirtschaftlich erfolgreiche Selbstständigkeit gehören auch immer das passende Team sowie eine ganze Reihe von Freunden und Helfern, auf die man sich in Zeiten des Stresses, beispielsweise bei den beiden Umzügen, auch verlassen kann. „Das war natürlich hier nicht vierzig Jahre lang eine One-Man-Show. Ich bin dankbar für die engagierte und positive Grundhaltung der Menschen, die mit mir im Ladenalltag für die Kundinnen und Kunden hilfsbereit dabei sind. Das ist nicht selbstverständlich“, stellt Vollmer klar, der gerade wieder einen Auszubildenden als Fachkraft weiterbeschäftigt.
Für den inzwischen im Rentenalter befindlichen Kaufmann bedeutet die hoffentlich bald auslaufende Corona-Phase gleichzeitig auch einen Einstieg in den Ausstieg aus seinem langjährigen Berufsleben. Noch, so betont er, mache ihm die Arbeit Spaß und als „Nurnoch-Rentner“ herumzulaufen, könne er sich auch nicht so recht vorstellen.
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