Interview mit Heike Marzen über Entwicklung von Dortmund: Mitten im Wandel

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Heike Marzen, Geschäftsführerin der WIRTSCHAFTSFÖRDERUNG DORTMUND, im Gespräch über Transformation, innovationsförderliche Ökosysteme und Zukunftstechnologien.

09.03.2023

Die vergangenen Jahre waren turbulent – und sind es immer noch. Auf Pandemie und Lockdown folgten Inflation, gestiegene Energiepreise und ein Krieg in Europa. Können Sie für den Wirtschaftsstandort Dortmund mittel- wie unmittelbare Auswirkungen dieser weltpolitischen Vorgänge ausmachen? Würden Sie die vergangenen Jahre trotz allem als erfolgreich für den Wirtschaftsstandort Dortmund bezeichnen?
In der Tat, die Rahmenbedingungen für Unternehmen und auch für die kommunale Wirtschaftsförderung haben sich stark verändert. Die Komplexität vieler wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen stellen uns vor ganz neue Herausforderungen. Die Ursachen liegen vor allem in der Überlagerung und Verschränkung von Krisen, wir sprechen auch von „Polykrisen“. Diese bilden eine immer länger werdende Kette, deren Folgen auch in Dortmund spürbar sind. 

Trotz allem: Dortmund ist bislang gut durch diese Krisen gekommen und die von manchen befürchtete Insolvenzwelle ist ausgeblieben. Aber wir stecken mitten in einer grundlegenden Transformation unserer Wirtschaft. Krisen und Transformation sind aber auch immer ein Innovationsmotor. Insgesamt hat sich die Dortmunder Wirtschaft bislang enorm flexibel, kreativ und anpassungsfähig gezeigt. Wobei uns als Standort sicherlich auch geholfen hat, dass wir bei den besonders energieintensiven Industrie-Branchen nicht vertreten sind. Dortmund ist heute ein sehr breit aufgestellter, wissensorientierter Dienstleistungsstandort mit einem enormen Beschäftigungswachstum in den letzten Jahren. Wir haben heute deutlich mehr Jobs in Dortmund als noch zur Hochzeit von Kohle, Stahl und Bier.

Mit PHOENIX West und dem Hafenquartier Speicherstraße entstehen zwei – wie die Wirtschaftsförderung sie auf ihrer Webseite bezeichnet – zukunftweisende Quartiere. Welche Bedeutung messen Sie den beiden Arealen für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Dortmund bei?
Beide Standortentwicklungen sind sehr wichtig für Dortmund. Allein die Entwicklung der Speicherstraße wird bis zu 5000 neue Arbeitsplätze schaffen. Insgesamt brauchen wir aber noch mehr Flächen zum Wachsen und Gründen. Die Herausforderung besteht darin, trotz großer Flächenknappheit eine thematisch ausgerichtete Wirtschaftsflächenentwicklung voranzutreiben, so auch zum Beispiel mit dem Energiecampus nördlich der Kokerei Hansa in Huckarde. 

Hier soll ein lebendiger Innovationscampus für Forschung, Produktion und Dienstleistungen rund um Energieformen und Technologien der Zukunft entwickelt werden, während sich auf PHOENIX West Unternehmen auf dem Gebiet der Mikro- und Nanotechnologie angesiedelt haben. Auch dafür haben wir damals mit dem ZfP und der MST-Factory den thematischen Grundstein gelegt – was sich heute auszahlt.

Unternehmen und Betriebe, die sich in Dortmund ansiedeln wollen, berichten Ihnen sicher von Hürden, die es zu überwinden gilt, um hier erfolgreich unternehmerisch tätig zu sein. Wo werden sich eher Verbesserungen gewünscht – in den Prozessen oder in der Infrastruktur?
Wir freuen uns, dass das Interesse am Standort Dortmund ungebrochen ist. Viele Dortmunder Unternehmen wachsen und suchen Erweiterungsflächen und Fachkräfte. Auch einige renommierte Unternehmen aus dem westfälischen Umland interessieren sich für Dortmund und seine innovationsförderlichen Ökosysteme. Aber wir haben momentan keine nennenswerten Flächen mehr für Wachstum im Bestand. 

Darum: Wir brauchen zwingend mehr Wirtschaftsflächen und mehr Flexibilität bei Genehmigungs- und Planungsverfahren, um mehr und schnelleres Wachstum im Bestand zu ermöglichen – im Rahmen unserer Möglichkeiten und unter Abwägung von Interessens- und Nutzungskonflikten. Um diese auszuloten und in Gesellschaft und Politik zu diskutieren, haben wir als Wirtschaftsförderung kürzlich bereits die dritte Wirtschaftsflächenkonferenz durchgeführt. Allen Akteuren muss zum Thema Flächenentwicklung bewusst werden, was passiert, wenn nichts passiert: Abwanderung von Unternehmen und Arbeitskräften und wirtschaftlicher Abschwung – das wären dann die Themen, die in den nächsten Jahren anstehen würden.

Künstliche Intelligenz, Brennstoffzellen und digitale Medizin – die Liste zukunftsweisender Technologien ließe sich fortführen. Spielen die sogenannten Zukunftstechnologien eine Rolle in Ihrer Planung für den Wirtschaftsstandort Dortmund?
Als erste und bisher einzige deutsche Stadt hat Dortmund 2021 die Auszeichnung als „Europäische Innovationshauptstadt“ erhalten. Unter dem Motto „Innovation next door“ hat Dortmund bewiesen, dass die Zukunft eines modernen und internationalen Wirtschaftsstandorts aus der gemeinschaftlichen Arbeit innovativer Ökosysteme entspringt. Die vielen aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen, insbesondere die Transformation unserer Energiesysteme, stellen uns vor große Herausforderungen. Wir brauchen dringend mehr innovative Ideen und Lösungen – technologische wie soziale. 

Gerade Start-ups und junge Technologiefirmen mit innovativen Geschäftsideen haben das Potenzial, die großen Probleme der Wirtschaft zu bewältigen. Das Matching von Start-ups und Mittelstand ist somit ein zentraler Baustein, um die flächendeckende Adaption von Zukunftstechnologien voranzutreiben. Insbesondere Wasserstoff gilt als Zukunftstechnologie auf dem Weg zu einer nachhaltigen, klimaschonenden Energieversorgung und viele Regionen wetteifern aktuell bei dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Die Stadt Dortmund wird dieser Entwicklung nicht hinterherschauen, sondern die Potenziale der Wasserstoffwirtschaft am Standort Dortmund aktiv erschließen.

In welchen Branchen ist der Wirtschaftsstandort Dortmund schon heute Innovationstreiber und lassen sich bei den Gründungen Trends und Entwicklungen beobachten?
Mit Blick auf die Gründungslandschaft in Dortmund und Region wird deutlich, dass auch die Start-ups in der Dekarbonisierung und Digitalisierung eine der größten Herausforderungen aber gleichzeitig auch spannendsten Gestaltungsaufgaben der Gegenwart identifiziert haben. Die ökologische Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen spielt bereits in vielen Businessplänen eine entscheidende Rolle. 

Für die Gründerinnen und Gründer gibt es eine große Bandbreite an Unterstützungs- und Förderungsmöglichkeiten – in Dortmund und bei unseren Partnern in der Region. Die Anlaufstellen sind vielfältig: an den Hochschulen, in Technologiezentren, bei den Kammern und den Wirtschaftsförderungen. Ergänzt werden diese klassischen Strukturen zunehmend durch themenfokussierte Gründungsförderungen in „Hubs“ oder „Acceleratoren“. Gründungsteams mit technologischen/digitalen Geschäftsmodellen können sich zum Beispiel im Rahmen des bundesweiten start2grow Gründungswettbewerbs der Wirtschaftsförderung Dortmund weiterentwickeln und werden auch nach Abschluss des Wettbewerbs in Zusammenarbeit mit unseren Netzwerkpartnern betreut (www.start2grow.de ). 

Die Klimakrise erfordert aber auch neue Denkweisen und veränderte gesellschaftliche Praktiken. Wir sprechen in diesem Kontext von sozialen Innovationen beziehungsweise Social Entrepreneurship. Eine nachhaltige und somit zukunftsfähige Wirtschaft (-sregion) profitiert von einem Start-up-Ökosystem, das sowohl technologische Start-ups als auch soziale Entrepreneurinnen und Entrepreneure im Fokus hat. Für diese Teams hat die Wirtschaftsförderung Dortmund mit der FH Dortmund und vielen weiteren Partnerinnen und Partner das greenhouse.ruhr Stipendienprogramm ins Leben gerufen. (www.greenhouse.ruhr ).

Mit der digitalen Transformation und der Möglichkeit, aus dem Homeoffice heraus zu arbeiten, erleben wir in vielen Berufen eine Entkopplung der Arbeit vom klassischen Büro und angestammten Arbeitszeiten. Werden manche Branchen hierdurch nicht unabhängiger von urbanen Zentren wie dem Ruhrgebiet? Oder kann dieser Prozess eher als eine Chance verstanden werden?
Ich sehe diesen Prozess als Chance, Notwendigkeit und Voraussetzung, um Fachkräfte langfristig an unsere Unternehmen und an den Standort zu binden. Die zukünftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwarten mehr Flexibilität, um Arbeitsleben, Familie und Freizeit miteinander in Einklang zu bringen. Gerade in den wissensintensiven Dienstleistungen, die einen Schwerpunkt unserer lokalen Wirtschaft bilden, ist ortsunabhängiges Arbeiten zur neuen Normalität geworden – mehr noch ist es inzwischen zum harten Einstellungskriterium gut ausgebildeter Fachkräfte geworden. 

Die Herausforderung für Unternehmen ist nun, diese neuen hybriden Arbeitsformen zu organisieren. Führung, Unternehmenskultur, Projektmanagement – das alles steht aktuell auf dem Prüfstand. Die Arbeitswelt verändert sich an vielen Stellen. Dass Branchen sich aufgrund dieser Entwicklungen aber von urbanen Zentren lösen oder gar abwandern, sehe ich bis jetzt nicht. Trotz fortschreitender Digitalisierung und der Ausweitung von Homeoffice in den letzten Jahren ist die Zahl sozialversicherungspflichtiger Jobs in Dortmund konstant gestiegen.

Für Arbeitnehmer rücken die weichen Standortfaktoren immer mehr in den Fokus. Was zeichnet Dortmund als eine attraktive, lebenswerte Stadt aus, der es gelingt, Fachkräfte langfristig an sich binden?
Dortmund hat als Stadt viel zu bieten. Das kulturelle Angebot, die Vielfalt an Veranstaltungen, Freizeitmöglichkeiten, Ausgehmöglichkeiten und sportlicher Infrastruktur in unserer Stadt sind wichtige Voraussetzungen, dass Menschen, die hier arbeiten und leben, sich auch wohl fühlen. Und Dortmund ist eine junge Stadt. Junge Menschen aus aller Welt kommen für ein Studium oder eine Ausbildung und lernen Dortmund als lebenswerte Stadt kennen. 

Und wir versuchen an vielen Stellen Grundlagen zu schaffen, damit sie einen guten Start ins Berufsleben haben und hier auch bleiben. Dortmund hat eine diverse Unternehmenslandschaft – der vielseitig zitierte Tausendfüßler – der sich in den letzten Jahren als äußerst krisensicher gezeigt hat. Dortmunder Unternehmen bieten sichere Arbeitsplätze, auch in schwierigen Zeiten. Als Standort von sieben Hochschulen hat Dortmund zudem ein enormes Potenzial an Fachkräften. Das alles spricht für unsere Stadt!
Dortmund ist eine pulsierende, innovative, arbeitswerte und lebenswerte Stadt. Die Menschen, die hier arbeiten und leben, wissen und schätzen das.
Interview: Hendrik Bücker