Reduzierte zwischenmenschliche Kontakte, veränderte Tagesstrukturen im Homeoffice, fehlendes soziales Verbundenheitsgefühl und zunehmende Isolation bringen viele Menschen derzeit aus dem Gleichgewicht.Stresserkrankungen wie Angststörungen und Depressionen nehmen zu, wie internationale Studien wie die aktuelle Lancet-Studie zu Depressionen und Angststörungen seit der COVID-19-Pandemie aufzeigen.„Corona bringt bestimmte Dinge jetzt zum Kochen“, so Dr. med. Gerhard Schell, Ärztlicher Direktor der Akutklinik Bad Saulgau, zu der aktuellen Situation. Auch in der Klinik ist der Anteil an Patientinnen und Patienten mit akuten Depressionen und Angststörungen seit der COVID-19-Pandemie um rund ein Viertel angestiegen. „Jeder Einzelne ist jetzt gefordert, sich mit seiner individuellen seelischen und gesellschaftlich-sozialen Lage auseinanderzusetzen“, erklärt der Psychoanalytiker. Seine Empfehlung: „Warten Sie nicht zu lange mit dem Gang zum Arzt oder Psychotherapeuten, sonst können schwere Verläufe oder Chronifizierungen einer Depressionserkrankung die Folge sein.“Die Pandemie führt zu EntbehrungenUnter Ängsten, Sorgen und Niedergeschlagenheit leiden derzeit viele, hervorgerufen durch die Einschränkungen und Entbehrungen in der Pandemie. „Einem Großteil der Menschen fällt es schwer, die Ungewissheit auszuhalten“, so Dr. Schell. „Durch die COVID-19-Pandemie können zudem alte Ängste wieder hervorgerufen werden“, erläutert der Arzt. Ein Beispiel hierfür ist die pandemiebedingte Tendenz zur Isolation, welche bei vielen jetzt alte Erfahrungen von Alleinsein und Verlassenheit aus der Kindheit wieder hervorruft. „Hier kommen bei zahlreichen Erwachsenen Kindheitstraumata in verschiedenen Ausprägungen hoch“, so der Psychotherapeut.Hilfe von Profis kann helfenProfessionelle Hilfe kann für viele sinnvoll sein, um nicht unnötig zu leiden. Dr. Schell rät Patientinnen und Patienten, sich den Herausforderungen zu stellen und auch bereits bei ersten Anzeichen ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Je früher der Behandlungsbeginn erfolgt, desto besser für den Erkrankten. Der Experte stellt fest: „Stresserkrankungen werden oft zu spät erkannt.“ Dadurch werden bestimmte Behandlungsbilder wie Depressionen und Angststörungen oft zu spät behandelt, was sich wiederum negativ auf die Heilung auswirken kann. „Das frühzeitige Aufsuchen professioneller Hilfe kann entscheidend sein“, so Dr. Schell.Bei Depressionen oder Angststörungen wirken meist viele Faktoren aus dem körperlichen, seelischen und sozialen Bereich zusammen. Besonders durch die Isolation kommen bestimmte Symptome und Anzeichen oft wenig bemerkt daher. Daher sei es immer sinnvoll, regelmäßig mit Angehörigen oder Freunden zu sprechen und Befindlichkeiten auszutauschen, so Dr. Schell.„Der Mensch ist ein soziales Wesen und somit auf die Mitmenschen programmiert.“ Zur Diagnose einer Depression müssen für den Arzt zwei sogenannte Hauptsymptome und meist zwei Zusatzsymptome erkennbar sein, unter denen die Patientin oder der Patient über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen leidet.Unter den Hauptsymptomen versteht man eine depressive Stimmung, Verlust von Interesse und Freude sowie verminderten Antrieb. Zu den Nebensymptomen zählen Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und ein negativer Blick auf die Zukunft. „Die Dauer, Intensität sowie die Quantität der Symptome ist bei Depressionen von entscheidender Bedeutung“, erläutert Dr. Schell.Bei einem Teil der von COVID-19 genesenen Personen verbleiben weiterhin neuropsychologische Symptome wie Konzentrationsschwäche, Schwindel, Müdigkeit, Erschöpfung und verminderte Leistungsfähigkeit, bis hin zum chronischen Erschöpfungssyndrom. Des Weiteren können psychologische Begleiterscheinungen wie Depressionen und Angststörungen als Spätfolgen mit der Erkrankung verbunden sein. dpa
Gesundheit
Stresserkrankungen werden oft zu spät erkannt
Corona bringt bestimmt Dinge jetzt zum Kochen: Seit der COVID-19-Pandemie nehmen Depressionen und Angststörungen zu.
12.02.2022
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