Wie war das vergangene Jahr für die Unternehmen in der Region und welche Entwicklungen zeichnen sich für die Wirtschaft im aktuellen Jahr ab? Wie steht es um den Fachkräftemangel und um die Beschäftigung generell? Dr. Jochen Grütters (Foto), Leiter des IHK-Standorts Emscher-Lippe in Gelsenkirchen und stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen, gibt Antworten.
Ganz klar als größte Herausforderung des vergangenen Jahres sieht er den „massiven Energiepreisschock als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine". Davon stark betroffen sei vor allem die energieintensive Industrie (Chemie und Glas sowie Metallverarbeitung) - die in der Emscher-Lippe-Region überdurchschnittlich stark vertreten sei. Ebenfalls deutlich betroffen seien Logistik-, Bus- und Taxiunternehmen sowie der Lebensmittelhandel. „Demgegenüber waren Dienstleistungsunternehmen in der Regel eher in der Lage, die Preiserhöhungen abzufedern", so Dr. Jochen Grütters. Eine weitere Herausforderung für die Unternehmen der Region sei es zudem gewesen, qualifizierte Mitarbeitende zu finden.
Während im stationären Einzelhandel deutlich werde, dass sich das Einkaufsverhalten der Menschen durch Corona noch stärker hin zum Internet entwickelt habe, sei das Baugewerbe verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen. Dort hätten jedoch Material- und Fachkräftemangel, hohe Baukosten und restriktivere Finanzierungsbedingungen Projekte ausgebremst.
Als äußerst positiv sei trotz der ganzen Probleme jedoch zu vermerken, dass das Jahr 2022 überhaupt mit einem Wirtschaftswachstum abgeschlossen werden konnte. Zudem habe sich der Arbeitsmarkt unabhängig von der „konjunkturellen entwickelt. Abkühlung". So seien beispielsweise am 31. März 2022 in der Emscher-Lippe-Region über 11.000 Menschen mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen als am gleichen Tag des Vorjahres.
Als ein Beispiel führt Grütters Dorsten an. Die Stadt habe im vergangenen die höchste Beschäftigungszahl und gleichzeitig die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 30 Jahren verzeichnet. Dorsten sei auf einem guten Weg, bessere Bedingungen für Unternehmen zu schaffen. So sei der Industriepark Große Heide Wulfen rund um das im Bau befindliche Distributionszentrum Levi Strauss & Co. ein großer Gewinn für die Stadt.
Expressbuslinien vernetzen die Region
Aus Sicht der Wirtschaft sei auch die Entwicklung beim newPark in Datteln sowie beim Bebauungsplan Dicker Dören in Waltrop positiv zu bewerten. Auch die Eröffnung des neuen Bahnhofs in Herten wird von der regionalen Wirtschaft begrüßt", so Dr. Jochen Grütters. Attraktiver würden die Standorte in der Region auch durch die ersten Expressbuslinien, die den Betrieb im VRR aufgenommen haben.
Mit direkten Fahrwegen und schnellen Reisezeiten würden diese Busse Orte ohne eigenen Schienenanschluss an den Regionalverkehr anschließen, benachbarte Städte und Kreise verbinden sowie den regionalen Mobilitätsbedarf zwischen den eher ländlich geprägten Gebieten und den Ballungsräumen decken.
Positive Signale, aber noch keine Trendwende - so fällt die Einschätzung des stellvertretenden Hauptgeschäftsführers der IHK Nord Westfalen mit Blick auf die aktuelle wirtschaftliche Lage der Region aus. „Die Lage in der regionalen Wirtschaft hat sich leicht entspannt, die Zuversicht kehrt zurück", sagt er. Dennoch liege der IHK-Indikator für das regionale Wirtschaftsklima noch weit unter dem langjährigen Mittel. Probleme wie die Energiekrise, der Fachkräftemangel, aber auch steigende Arbeitskosten stünden ganz oben auf der Agenda. Der Inflationsdruck sowie die Lieferkettenprobleme jedoch würden aller Voraussicht nach stetig abnehmen.
Hinsichtlich des Fachkräftemangels sei es für Unternehmen wichtig, sich bei den jungen Menschen zu bewerben und die Türen zu öffnen. Weiterhin sei die Qualifizierung bereits angestellter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein weiterer Baustein im wichtiger Kampf gegen den Fachkräftemangel.
Insgesamt entwickele sich die Beschäftigung in der Region jedoch gut. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Emscher-Lippe-Region nach Angaben der IHK um über 42.000 von rund 255.00 (2012) auf rund 297.000 (2022) gestiegen. In anderen Regionen war die Wachstumsdynamik allerdings stärker ausgeprägt, so dass Grütters noch Nachholbedarf sieht: "Emscher-Lippe hat angesichts der immer noch überdurchschnittlichen Zahl an Arbeitslosen noch Potenzial, um den herrschenden gleichzeitig Fachkräftemangel zu mindern. Das müssen wir besser nutzen." Denn der Blick auf den IHK-Fachkräftemonitor zeige, dass der Emscher-Lippe-Region 2035 fast 50.000 Fachkräfte fehlen werden - und zwar zu über 90 Prozent beruflich qualifizierte.
Text: Manuela Hollstegge