Bis Kriegesende im Mai 1945 suchten die Menschen regelmäßig Schutz bei Fliegeralarm in der Luftschutzanlage gegenüber dem Hauptbahnhof. Im Jahr 1950 öffnete in dem Gebäude die Kunsthalle ihre Pforten. Doch wie wurde der Bunker nach Kriegsende in den Jahren zwischen 1945 und 1950 genutzt? Was kaum jemandem bekannt ist: Es gab das Vorhaben vonseiten der Stadtverwaltung in Absprache mit den britischen Besatzern, den Bunker in ein elegantes Hotel zu verwandeln.
Ein altes Dokument aus dem „Vestischen Kalender“ weist darauf hin, dass nach Kriegsende alleinreisende Frauen, heimatlose Rückwanderer oder entlassene Kriegsgefangene in dem Gebäude übernachten konnten - und das in einer Zeit, in der in den zerstörten deutschen Städten der Wohn- und Schlafraum äußerst knapp war. In diesen Jahren war der massive Bau ein „Übernachtungsheim für Durchreisende.“
Unsere Zeitung hat Dr. Matthias Kordes, Leiter des Institutes für Stadtgeschichte/Stadt- und Vestisches Archiv, kontaktiert. Im Archiv befindet sich eine Akte mit Dokumenten aus den späten 1940er-Jahren.
Dort heißt es in einem Schriftstück: „Die Mitglieder des Bauausschusses haben in der Sitzung vom 20. Mai 1948 angeregt, den Bunker am Hauptbahnhof umzubauen, weil im Falle einer Sprengung des Bunkers die Kosten für die Wegräumung der Schuttmassen wahrscheinlich erheblich höher wären als die Kosten für die Einsprengung der Fenster.“ Eine dazugehörige Skizze zeigt, an welcher Stelle der Gebäudefront Fenster geplant sind. Der Akte liegt eine detaillierte Aufstellung bei, in der die Kosten für den Umbau mit 100.000 DM veranschlagt sind: Bei 70.000 DM sollen die Baukosten liegen und 30.000 DM sind für die Ausstattung des Hotels geplant. Ebenfalls vermerkt: ein Doppelspülstein in der Küche. Er schlägt mit 100 DM zu Buche.
Interessant ist auch ein Artikel der beiliegender Westfalenpost vom 1. Juli 1948 aus der Rubrik „Kommunalpolitische Notizen“. Der Bericht beschäftigt sich mit Vorfällen am Bunker.
„Der Recklinghäuser Bahnhofsbunker hat von Zeit zu Zeit immer wieder die Oeffentlichkeit beschäftig. Stadtverwaltung und Kriminalpolizei haben sich meist mit einigem Aerger mit diesem Ueberbleibsel der Hitlerischen Kriegsführung befassen müssen. Die Schaffung eines Uebernachtungsheimes für Durchreisende war zweifellos der beste Zweck, den der Bunker seit Kriegsende erfüllte. Doch es ließ sich nicht vermeiden, daß neben den ehrlichen Durchreisenden sich auch lichtscheues Gesindel vom Bahnhofsbunker angezogen fühlte ... Auch der Recklinghäuser Schwarzmarkt fand im Bahnhofsbunker einen Unterschlupf und so manches dunkles Geschäft nahm hier seinen Anfang ... Erfreulich dagegen der Plan des städtischen Bauamtes, den Bahnhofsbunker in ein modernes Hotel umzubauen.“
Dass am ehemaligen Luftschutzbunker der Schwarzmarkt beheimatet war, findet sich auch in dem Buch „Über Thomas Grochowiak“ aus dem Jahr 1984. Dort steht unter einer alten Außenaufnahme: „Beim Hochbunker am Bahnhof von Recklinghausen trafen sich in den ersten Nachkriegsjahren Schwarzhändler und solche, die Schwarzhändler brauchten.“
Eine Übernachtung sollte 3,50 Mark kosten
Erst sind 36 Betten geplant, ein Schriftstück vom 7. August 1948 erwähnt, dass die Bettenzahl auf 45 aufgestockt werden soll. Der Preis für eine Übernachtung beläuft sich auf 3,50 Mark - wohlgemerkt ohne Frühstück. Das Hotel soll auch Arbeitsplätze schaffen: Vier Zimmermädchen, ein Tagesportier, ein Tag- und Nachthausdiener, jeweils eine Kaffeeköchin, Wäscherin und Plätterin, ein Garagenwart, sowie eine kaufmännische Kraft sollen eingestellt werden. Zum Hotelumbau kommt es nicht. Warum die Pläne scheitern? Darüber findet sich keine Angaben in der Akte.
Jedoch gibt es Pläne, den Bunker in ein Bürohaus zu verwandeln. Einige Bewerbungen liegen bei. „Ich bitte mir im Bahnhofsbunker Recklinghausen 2 Büroräume zuzuweisen... Ich war 6 Jahre Soldat, wurde während dieser Zeit in Herne ausgebombt und konnte mir nach der Rückankunft aus der Gefangenschaft in Recklinghausen, wo ich meinen Wohnsitz habe, bisher keine entsprechenden Räume beschaffen“, schreibt ein Interessent in seinem Brief vom 4. Januar 1949. Doch auch die Büropläne verlaufen im Sande.
Zur Person:
Thomas Grochowiak
Thomas Grochowiak (1914 bis 2012) gehörte von 1950 bis 1979 zur Leitung der Ruhrfestspiele, zudem war er von 1954 bis 1980 Direktor der städtischen Museen. 1948 begründete der Sohn eines Bergarbeiters mit Künstlerkollegen die Gruppe junger westen.
Der Bunker ist ein Asyl der Entwurzelten
Seit 1950 ist die Kunsthalle im Bunker beheimatet. Dafür wurde der Betonklotz aufgesprengt und größtenteils entkernt. In dem Buch „Recklinghausen. Kleine Stadtgeschichte“ von Werner Burghardt und Kurt Siekmann aus dem Jahr 1971 heißt es über die Eröffnung der Kunsthalle: „Aus der Notwendigkeit, geeignete Räume für die internationalen Kunstausstellungen der Ruhrfestspiele zu finden, war auf Betreiben Grochowiaks* der massige Betonklotz, nach dem Kriege Asyl der Entwurzelten, zu einem Kunstbunker umgestaltet worden.“ (*Info-Kasten oben) Mit der spektakulären Ausstellung „Deutsche und französische Kunst der Gegenwart“ wurde das Museum eingeweiht, das seit mehr als 70 Jahren der Kunst in Recklinghausen ein Zuhause gibt. Von Bianca Munker